Etwas ungeschliffen, kitschig und ohne Angst vor Exzess: Der unkonventionelle Geist von Alessandro Micheles königlichen Punks aus der Gucci Cruise 2017 Modenschau brachte Vanessa Grall, die Gründerin von Messy Nessy Chic, einem Online-Magazin über nostalgische Geschichten und überraschende urbane Entdeckungen, auf die Spur einer britischen Mode-Subkultur, die eine Schwäche für verzierte Jacken und Federhüte hat.
Ich fühle mich zurzeit unglaublich britisch. Natürlich bin ich das nicht und ich lebe jetzt auf der anderen Seite des Ärmelkanals auf feindlichem französischem Gebiet, aber ich bin in Großbritannien aufgewachsen und habe immer eine gewisse Loyalität und Zuneigung zu dem Königreich verspürt, das mich großgezogen hat. Ich sehe mir im Moment auch mit großem Vergnügen die neue Mini-Fernsehserie Victoria an, die die frühen Jahre der englischen Königin nachverfolgt und mich dazu motiviert, das T klarer auszusprechen und mehr Earl Grey zu trinken. Aber die britische Identität ist selbstverständlich mehr als vornehme Aussprache, Teetrinken und Rosenschneiden. Darum möchte ich heute von den Pearly Kings und Queens berichten. Aus meiner Kindheit in London erinnere ich mich vage an diese einzigartige Subkultur, die einen festen Platz im Kulturerbe der englischen Hauptstadt hat. Die Pearlys sind die unbesungenen Könige von Großbritannien und ihre Geschichte ist sehr erzählenswert .
Sie begann vor über 150 Jahren im viktorianischen London des 19. Jahrhunderts mit einem verwaisten Straßenkehrer und Rattenfänger namens Henry Croft, den die Straßenhändler des Marktes von Spitalfields unter ihre Fittiche nahmen. Croft lernte die Lebensart dieser stolzen Obstverkäufer aus dem East End und ihre gesellschaftliche Rolle als Betreuer der Armen kennen. Die führenden Händler waren auch für die besonderen rauchgrauen Perlmuttknöpfe bekannt, die sie auf den Paspelnähten ihrer zerlumpten Kleider anbrachten, um die perlenbesetzte Mode der Reichen zu imitieren. Der Legende nach stieß der leicht beeindruckbare Henry, der diesen Lokalhelden nacheifern wollte, eines Tages am schlammigen Ufer der Themse auf die angeschwemmte Fracht eines versunkenen japanischen Schiffes mit tausenden von importierten Perlmuttknöpfen. Croft bedeckte seinen gesamten abgetragenen Gesellschaftsanzug und seinen Zylinder mit 60.000 Perlmuttknöpfen, die er in kunstvollen Mustern und Robin-Hood-artigen Sprüchen wie „Alles für einen guten Zweck“ oder „Mitleid mit den Armen“ aufnähte. Er machte sich daran, Geld für wohltätige Organisationen und Waisenhäuser wie das, in dem er aufgewachsen war, zu sammeln. Mit seinem perlmuttbedeckten Anzug war er nicht zu übersehen und dank der Aufmerksamkeit konnte er mehr Geld einnehmen. Er wurde eine bekannte Persönlichkeit des East Ends, bereiste die ganze Stadt und gewann andere hilfsbereite Londoner mit einer Vorliebe für extravagante Mode für seine Sache.
1911 wurde eine organisierte Pearly-Gesellschaft gegründet und jedes Stadtviertel hatte eigene Pearly Kings bzw. Queens. Die Tradition der organisierten Wohltätigkeit in der Londoner Arbeiterklasse besteht bis heute fort ...
Großbritannien ist ebenso punkig wie förmlich. Es ist geprägt von Cockneys wie von Konservativen und es liebt die Monarchie genauso sehr wie einen Hauch von Anarchie. Großbritannien besteht aus Herrensitzen und Arbeitersiedlungen, aus Tee und Gebäck ebenso wie aus Fish & Chips. Es ist ein Land der Großbürger und Metzger, der Bohemiens und Bauarbeiter. Eine dieser Gruppen außen vor zu lassen wäre schlicht und einfach unbritisch. Und niemand scheint das besser zu verstehen als die Modewelt ...
Für die Cruise Kollektion 2017 stellten das legendäre Modehaus Gucci und Kreativdirektor Alessandro Michele eine prächtige, britisch inspirierte Stilparade auf die Beine, die an keinem geringeren Ort als den Kreuzgängen der Westminster Abbey stattfand.
Neben Micheles englischen Gartenprints, seinen Anspielungen auf Noblesse und Punk, sah ich auch die Pearly Kings und Queens in den britischen „Royals“ von Gucci, wie sie über den Laufsteg aus dem 16. Jahrhundert stolzierten. Die patriotischen Farben, verzierten Jacken, nietenbesetzten Schuhe und Maßanzüge haben etwas, das zugleich edel und ungeschliffen und ein ganz kleines bisschen kitschig ist und sie zum urbritischen Fashion-Statement des Jahres macht.
Entdecken Sie die Gucci Cruise Kollektion 2017.
Lien copié dans le presse-papiers.